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Interview mit reVerb

Hinter den Kulissen von Transient Exposure

Das Konzept der Mixed-Reality-Installation Transient Exposure hat Anfang 2021 unseren ersten Open Call gewonnen. Wir haben Isabel Robson, Mareike Trillhaas und Susanne Vincenz interviewt – als Künstlerinnenkollektiv reVerb stehen sie in Kooperation mit der Chitrasena Dance Company (Colombo, Sri Lanka) hinter der Projektidee. 

XRU: Wie würdet ihr euer Kollektiv beschreiben?

Isabel: Wir haben uns als Videokunstkollektiv verstanden. Wir erforschen räumliche Bildwelten in Zusammenhang mit Performance. Im Laufe der Zeit haben sich die Technologien verändert und somit sind wir jetzt beim ersten Versuch mit Mixed Reality (MR). 

XRU: Wie ist das Kollektiv entstanden und was war eure Vision zu dem Zeitpunkt?

Susanne: reVerb war immer mit der Frage verknüpft, wie man dokumentarisches Material als bewegtes Bild in einer Live-Performance integrieren kann. Das hat sich mit der Zeit Stück für Stück weiterentwickelt. Wir haben mit verschiedenen Künstler*innen international gearbeitet, zur Stadtentwicklung in China, zur Protestbewegung in Iran, und die Videos bekamen in Verbindung mit der Performance eine Dreidimensionalität. Daraus hat sich dann der nächste Schritt ergeben, eher installativ zu denken.
­Ausgehend von den Kafka-Fragmenten von György Kurtág hatten wir 2013 eine Installation im Jüdischen Museum. Das war unsere erste gemeinsame installative Arbeit als reVerb.

XRU: Und dann kam Mareike dazu. Richtig?

Mareike: Genau. Isabel kannte ich schon von anderen Projekten. Wir haben uns das erste Mal im Maxim-Gorki-Theater getroffen und dann immer mal sporadisch ein paar kleinere Sachen zusammen gemacht. reVerb bin ich letztes Jahr beigetreten.

XRU: Transient Exposure ist euer neues Projekt in Kooperation mit der Chitrasena Tanzcompany in Sri Lanka. Wie ist diese Kollaboration zustande gekommen?

Isabel: Ich habe das Glück gehabt, dreieinhalb Jahre meiner Kindheit in Sri Lanka zu verbringen. Jeden Samstagmorgen haben meine Mutter und ich die Chitrasena-Tanzschule besucht. 
Es gab eine Faszination für die Bewegung und die Musik aus dieser Zeit. reVerb, also der Nachklang, ist in dieser Hinsicht Programm. Nach mehreren Besuchen in den letzten Jahren sind wir jetzt mitten in einem gemeinsamen Projekt. Die Kollaboration mit XR_Unites ist dabei ein Kapitel dieser Annäherungen und Zusammenarbeit. 

XRU: Worin bestehen für euch der Reiz und das Potenzial von Transient Exposure?

Isabel: Ich habe große Lust, mit der HoloLens 2, der Mixed-Reality-Brille, zu experimentieren. Im Vergleich zu der geschlossenen Virtual-Reality-Erfahrung bietet MR mehr Möglichkeiten für die Integration einer Live-Performance. In dieser ersten Etappe werden wir nicht mit Live-Performance arbeiten können. Es geht vielmehr um die User-Interaktivität. Aber spannend ist, dass Inhalte räumlich verankert werden und dass man als User entscheidet, was man sieht und was nicht. Und v.a. die Antwort auf die Frage: Was kann diese Technologie der Live-Performance bringen auf einer szenografische Ebene – und was nicht?

XRU: Was darf das Publikum erwarten?

Mareike: Ich stelle es mir bis jetzt vor wie eine Mischung aus behaupteter Kommunikation und echter Kommunikation, weil die Tänzerin in Verbindung mit den Leuten treten soll, die sich auch in diesem Raum befinden. Da es nicht live ist, kann die Kommunikation nicht wirklich direkt sein. Aber dadurch, dass man Gesten-Steuerung oder vielleicht auch akustische Steuerung benutzen kann, gibt es doch so eine Art Interaktion. Die Kommunikation kann trotzdem zwischen den zwei oder drei Leuten stattfinden, die sich das anschauen und anhören. Und dann gibt es auch noch diese Ebenen zwischen den Zeiten, weil auch die Vergangenheit eine Rolle spielt, und zwischen Orten wie Sri Lanka und Berlin. 

XRU: Ihr habt euch für eine Darstellungsform entschieden, bei der Tänzerinnen als Point Clouds dargestellt werden. Diese können den Eindruck vermitteln, dass das damit Dargestellte nicht greifbar ist – auch kann es leicht zerfallen oder sich auflösen. Warum diese Entscheidung?

Isabel: Unser Titel deutet das an. Es gab immer wieder Begegnungen der Chitrasenas durch Tourneen und Reisen zwischen ihrem traditionellen Tanz und anderen Bühnenkünstler*innen in der Sowjetunion, auch hier in der ehemaligen DDR, z.B. mit Gret Palucca. Für einen Moment gibt es eine Exposure – man ist einer anderen Sprache oder Kunstform ausgesetzt. Was bleibt vom eigentlichen Tanz? Das ist eine Frage, die wir mit dem Archiv der Chitrasena Company stellen.
Die Point Clouds entfernen sich von einem Fotorealismus, und wenn man wirklich den Fokus auf Bewegung legen möchte, dann ist eine abstrakte Form geeigneter. 

XRU: Die Anwendung wird nicht nur Tänzerinnen aus verschiedenen Generationen zusammenführen, sondern lässt auch den Rhythmus traditioneller sri-lankischer Tänze wie des Kandy Dance eine zentrale Rolle spielen. Wie koordiniert man die Musik alter Choreografien mit neuen?

Susanne: Tatsächlich sind es die gleichen Choreografien, die über drei Generationen weitergegeben wurden. Das sind Tänze, die aus den rituellen Zusammenhängen der sri-lankischen Tradition stammen und dann in den 1940ern für die Bühne adaptiert wurden. Sie wurden von den Frauen der Company weiterentwickelt und über drei Generationen weitergegeben. Wir arbeiten dabei mit Überlagerungen, die diese Zeitschichten sichtbar machen sollen. Die Choreografien, die ihre Großmutter getanzt hat, tanzt Thaji Dias in anderer Art und Weise immer noch. 

XRU: Wird diese Überlagerung auch in der Musik vorkommen?

Mareike: Es wird eine Mischung zwischen neuen und realen Geräuschen aus Colombo sein. Der starke Verkehr z.B. spielt eine wichtige Rolle. Es können aber auch abstraktere Geräusche dazukommen, die nicht so eins-zu-eins wiedergeben, wie es jetzt ist oder wie es war, sondern die Assoziationen wecken. Es können Sounds von Kostümen sein – es gibt ja ein stark metallbesetztes Kostüm, das sehr geräuschhaft ist. So etwas würde ich auch gerne integrieren. 

XRU: Inwiefern wird der politisch-historische Kontext einfließen, z.B. der Bürgerkrieg?

Isabel: Politische Hintergründe, auch die Frage, wo das Land sich gerade befindet, sind wichtig. Wir erfahren etwas über die Hürden und Herausforderungen, die jede Generation erlebt hat. Wenn wir auf die Arbeiten von Upeca Chitrasena in den 1980er Jahren schauen, dann im Kontext des beginnenden Bürgerkriegs, der so lange andauerte.
Susanne: Ich glaube, dass man in Transient Exposure einen komplexen Hintergrund nicht direkt erfahren kann. Aber was man vielleicht mitbekommen sollte, ist, dass es eine Umbruchsituation ist. Im Grunde genommen die Fragen: Welchen Ort hat dieser Tanz heute in Sri Lanka? Inwiefern hat er etwas mit Zeitgenossenschaft zu tun? Was erzählt dieser Tanz heute? Was löst er aus? Wo ist sein Ort? Das ist schon etwas, das wir auch mit der MR-Installation versuchen zu vermitteln. 

XRU: Wie geht es nach dem XR_Unites-Stipendium mit Transient Exposure weiter?

Susanne: Wir werden es auf jeden Fall nach Sri Lanka bringen. Es gibt die Möglichkeit, dass es auf der Insel an verschiedenen Orten gezeigt wird. Da sind wir in Kontakt mit verschiedenen Institutionen, unter anderem dem Goethe-Institut. Eine der Herausforderungen in dieser Zusammenarbeit ist ja tatsächlich, etwas zu entwickeln, das sowohl für ein Publikum in Sri Lanka als auch in Deutschland funktionieren kann. Und vielleicht ist dafür genau diese neue Technologie besonders geeignet, weil weder wir, noch ein Publikum in Sri Lanka, bisher damit so viel Umgang hatten.

Das Gespräch führte Laura Magdaleno Amaro von XR_Unites am 03.03.2021.